Informations- und Rezipientenfreiheit
Die Informations- oder Rezipientenfreiheit also das Recht eines Jeden, sich aus allen öffentlich zugänglichen Quellen frei zu unterrichten ist ein wesentliches Element unserer wehrhaften Demokratie. »Feindsenderverbote« hingegen sind Kennzeichen autoritärer Regime. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus den 60ern im Fall »Einfuhrverbot / Leipziger Volkszeitung« (BVerfGE 27, 71) umfasst das Recht sich frei zu unterrichten sowohl die schlichte Informationsaufnahme als auch die aktive und ungehinderte Informationsbeschaffung. Ungehindert bedeutet dabei frei von rechtlich angeordneter oder faktisch verhängter staatlicher Abschneidung, Behinderung, Lenkung, Registrierung und sogar »frei von unzumutbarer Verzögerung«.
Der Filterpilot
Einen vieldiskutierten Vorstoß, die Rezipientenfreiheit unter dem Vorwand des Kampfes gegen Rechtsextremismus einzuschränken, hat der Düsseldorfer Regierungspräsident Jürgen Büssow gestartet: er möchte in einem Pilotversuch zwei ausländische rechtsextremistische Webseiten in Deutschland unsichtbar machen in dem Wissen, dass ihm dies nur für »08/15-User« gelingt, die solche Webseiten sowieso nicht anschauen. Mit »Sperrungsverfügungen« hat er die Internet-Zugangs-Anbieter in ganz Nordrhein-Westfalen, mit Ausnahme weniger großer wie beispielsweise der Telekom, angewiesen, die zwei Seiten zu »sperren«
Erklärung gegen die Einschränkung der Informationsfreiheit
Vor diesem Hintergrund hat ODEM mit Unterstützung durch Netzprominenz im Frühjahr 2002 die »Erklärung gegen die Einschränkung der Informationsfreiheit« verfasst. Zu den Erstunterzeichnern der Unterschriftenliste gehören die Internet-Experten der Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen, die »Reporter ohne Grenzen«, Kommunikationswissenschaftler usw.
In der Erklärung werden die Pläne der Bezirksregierung Düsseldorf als kontraproduktiv, schädlich und gesellschaftlicher Rückschritt verurteilt, stattdessen wird eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus gefordert.
»Im Grunde genommen könnte Herr Büssow sein Ziel nur dadurch erreichen, dass er Nordrhein-Westfalen vom internationalen Telefonnetz abklemmt. Und das kann's nicht sein. Mein Problem ist, dass andere Bemühungen, die ja angeleiert worden sind, schlichtweg konterkariert werden. Ich würde mir wünschen, dass man mit Hilfe des Internets Nazis bekämpft, und dass man nicht Nazis bekämpft indem man das Internet bekämpft, das ist der Büssowsche Ansatz.«
Jörg Tauss, Beauftragter für Neue Medien der SPD-Bundestagsfraktion; in einem Interview mit 3sat Kulturzeit, ausgestrahlt am 14. November 2002
Originalton:
MP3, mittlere Qualität (137 kB)
OGG, kleine Datei (67 kB)
OGG, gute Qualität (128 kB)
O-Töne
Anfang 2003 veröffentlichte Recherchen von ODEM haben aufgedeckt und bewiesen, was aufmerksame Beobachter schon lange ahnten: die zwei von der Bezirksregierung Düsseldorf ausgewählten Seiten sind nur eine Vorhut, die tausende weitere Seiten aller Bereiche mit sich ziehen. Viele Interessengruppen stehen schon schlange, um endlich unerwünschte Inhalte aus dem ausländischen Internet wenn nicht entfernen, dann wenigstens unsichtbar schalten zu können.
Dazu passt, dass die Testballon-Seiten zwar plakativ sind und sich gut dafür eignen, »das Böse« im Internet heraufzubeschwören, der Verfassungsschützer sehen das aber anders: der einen nun mit viel Aufmerksamkeit bedachten Nazi-Webseite wird in Verfassungsschutzberichten keine Bedeutung zugemessen, die andere gar nicht erst erwähnt. Selbst Vertreter der Bezreg müssen zugeben, dass die angedachten Maßnahmen im Kampf gegen Rechtsextremismus nur 08/15-Placebo-Lösungen sind.
Materialsammlung
Um insbesondere Entscheidungsträgern aus Politik, Justiz und Medien mit fundierten Hintergrundinformationen zu versorgen, hat die Arbeitsgemeinschaft DAVID, an der ODEM federführend beteiligt ist, eine umfangreiche Materialsammlung herausgegeben.
Zu Wort kommen sort nicht nur die Kritiker der Sperrungsverfügungen sondern auch Vertreter der Bezirksregierung Düsseldorf. Zahlreiche Themen rund um Internet-Filter und Internet-Kontrolle werden angeschnitten.
Wegschauen statt Probleme anpacken
»Zu Hause bin ich bereits auf bedenkliche Websites gestoßen, war aber aufgrund des Computertrainings in der Schule in der Lage, damit umzugehen: Ich habe die Websites einfach weggeklickt. [...]In meiner Familie herrscht Übereinstimmung darüber, dass man solche [Hass-] Sites einfach nicht besucht und wir diskutieren über die Gründe dafür.«
Simon Proffitt, 13, Schüler der Netherhall School in Cambridge (Großbritannien) in einem Aufsatz über Internet-Filter
In: Marcel Machill, Felicitas von Peter (Hrsg.): Internet-Verantwortung an Schulen; Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh 2001 Seite 374f.
Dies entspricht ganz den Wünschen der Internet-Regulierer: »bedenkliche« Inhalte sollen nicht inhaltlich diskutiert sondern verdrängt werden.
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